Schaffen Apple, Google, Amazon und ZigBee mit „Connected Home over IP“ einen neuen Standard?

02.01.2020
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Apple, Google, Amazon und ZigBee haben Ende 2019 eine Arbeitsgruppe mit dem Namen „Connected Home over IP“ (CHIP) bekannt gegeben. Aus Sicht Homematic IP ist dieser Schritt erfreulich, unterstreicht er doch unsere Sicht, dass die Zukunft im Smart Home alleine IPv6 gehört.

Die CHIP Gründer stehen jetzt allerdings vor der Aufgabe, ihre unterschiedlichen Protokolle zu integrieren und möchten zugleich eine Vielzahl Versionen unterschiedlicher Funktechnologien unterstützen. Letztlich stellt sich CHIP die Aufgabe, die seit mehr als 10 Jahren gescheitert ist.

Falls CHIP erfolgreich ist, wird eine Integration des bereits auf IPv6 basierenden Homematic IP vergleichsweise geradlinig sein, was Investitionen der Kunden in Homematic IP sichert. Dagegen steht zu befürchten, dass viele andere – nicht auf IPv6 basierende – Systeme und Hersteller sterben werden, wenn sich CHIP als Standard etabliert. Bemerkenswert ist beispielsweise, dass „Standards“ wie Z-Wave, Enocean, ULE oder auch KNX in der Bekanntgabe nicht einmal erwähnt wurden.

Was bedeutet Connect Home over IP für Homematic IP?

Unter dem Namen „Connected Home over IP“(„CHIP“) wurde am 18.12.2019 eine neue Arbeitsgruppe bekannt gegeben, die sich einem neuen Kommunikationsstandard für das Smart Home auf Basis von IPv6 widmen soll. Mit den Gründungsmitgliedern Amazon, Apple, Google und ZigBee entsteht die Hoffnung, dass ein einheitlicher Standard nun auch im Smart Home Einzug hält.

CHIP unterstreicht die Strategie von Homematic IP

eQ-3 begrüßt diese Initiative ausdrücklich, da hier klar wird, dass die Zukunft im Smart Home eindeutig dem Internetprotokoll, kurz IP gehört. Damit wird die Strategie hinter Homematic IP – das mit inzwischen über 90 Produkten seit etwa fünf Jahren im Markt ist – eindrucksvoll bestätigt.

eQ-3 liefert im OEM-Markt bereits seit 2010 IPv6-basierte Home Control Produkte, beispielsweise an innogy, Bosch und die Telekom. eQ-3 stimmt mit CHIP über die Vorteile IP-basierter Netzwerke überein. In der Praxis sind diese alleine schon mit der Transparenz zwischen dem Homematic IP Funksystem und Homematic IP Wired eindrucksvoll sichtbar.

Homematic IP ist heute das einzige System, dessen Protokoll-, IT- und Datensicherheit vom VDE zertifiziert ist.Wir begrüßen es, dass Security bereits in der zweiten Zeile des Textes in der Bekanntgabe von CHIP als Ziel definiert wird.

Bislang ist Security eher eine deutliche Schwäche der sogenannten Smart Home „Standards“. Einzig Apple Homekit hat hier eine überzeugende, wenn auch komplexe und kostspielige Lösung.

CHIP nennt ausdrücklich Themen zum „Life Cycle“ von Geräten in Smart-Home-Netzen, wie einfaches Anlernen, Fehlerbehebung und Software-Updates, als Arbeitsziele – wohl wissend, dass genau hier große Schwächen der heutigen „Standards“ liegen. Eine Herausforderung wird sein, diese Probleme in dem Umfeld zu lösen, in dem dies seit über 15 Jahren nicht gelungen ist. Wir sehen auch dies als Stärke von Homematic IP, was von der Stiftung Warentest in 01/2017 mit dem Titel „bedienerfreundlich“ belohntwurde.

eQ-3 stimmt CHIP auch bezüglich der Wichtigkeit von Zielen wie Zuverlässigkeit, Einfachheit, Offenheit und Kompatibilität zu. Genau dies sind bereits seit Jahren realisierte Stärken von Homematic IP. Schwächen bei den sogenannten „Standards“ in diesen Bereichen hemmen die Verbreitung von Smart Home seit nunmehr 15 Jahren.

Mit der XMLRPC hat eQ-3 als Erster eine API vollkommen offen im Internet zur Verfügung gestellt und damit eine Vielzahl von Open Source und Partnerlösungen möglich gemacht. Darüber hinaus steht die gesamte Software unserer Linux-basierten Zentrale – einschließlich Homematic IP – auf GitHub kostenlos für die private und kommerzielle Nutzungzur Verfügung.

"Datenschutz“ wird in CHIP nicht erwähnt

Was in CHIP jedoch fehlt, ist eine klare Position zum Datenschutz, was angesichts der „Mütter“ Amazon, Google und Apple kaum verwundern kann. Wenngleich fast alle wünschenswerten Aspekte eines Smart-Home-Systems in CHIP zu Zielen erklärt wurden, erwähnen dessen Gründer nichts zum Umgang mit den Daten der Anwender.

Homematic IP nimmt den Datenschutz dagegen besonders ernst und bietet eine kostenlose Cloud, für deren anonymen Betrieb der Anwender überhaupt keine personenbezogenen Daten zur Verfügung stellen muss. Darüber hinaus ist es möglich, Homematic IP mit lokalen Zentralen von unterschiedlichen Herstellern auch komplett ohne Internet und ohne Anmeldung zu betreiben. Keine dieser beiden Möglichkeiten wird von CHIP als Ziel erwähnt.

Allein schon durch den am 01.01.2020 in Kraft getretenen „California Consumer Privacy Act“ (CCPA), wird sich Datenschutz rasch zu einer essentiellen Anforderung im Smart Home und so auch in CHIP entwickeln. Teilweise geht die CCPA sogar noch über das Schutzniveau der Datenschutzgrundverordnung bzw. europäischen Datenschutzgesetze hinaus.

Andere Bundesstaaten – z.B. New York – haben ähnliche Gesetze erlassen. Gerade Unternehmen wie Amazon, Google und Apple stellt dies insgesamt vor enorme Herausforderungen, da viele datenbasierte Geschäftsmodelle vom CCPA in Frage gestellt werden.

Wer steht als Organisation hinter CHIP?

Bislang ist – öffentlich – überhaupt nicht geklärt, um welche Art von Organisation es sich bei CHIP überhaupt handelt. Zum organisatorischen und rechtlichen Rahmen wird nichts gesagt, was alleine schon unter kartellrechtlichen Aspekten verwundert.Die Bekanntgabe nennt CHIP einerseits ein „Projekt“, andererseits eine „neue Arbeitsgruppe“. Ist CHIP etwa nur eine neue Initiative von ZigBee?

Dass die ZigBee-Allianz einer der Gründer von CHIP ist, gibt vielleicht einen Hinweis: Ist dies nach 17 Jahren das Eingeständnis, dass ZigBee sich nicht als universeller Standard durchsetzen kann? Die weiteren bei CHIP genannten Firmen sind prominente ZigBee Mitglieder. Lagen die Hersteller in ZigBee, die bereits in 2003 alle gemeinsam auf ein IP-basiertes System gedrängt haben und seinerzeit politischverloren haben, etwa doch richtig? Interessant ist jedenfalls, dass man als einzigen Hinweis, wer hinter CHIP steht, beim Angeben persönlicher Daten auch ankreuzen kann, dass man interessiert ist, weitere Informationen von ZigBee zu erhalten. Warum ZigBee an dieser Stelle, wenn ich mich doch gerade für CHIP interessiere? Es bleibt offen, in welcher Form die Zusammenarbeit in CHIP erfolgen soll. Welche Struktur soll das „Projekt“ haben? Wer kann Mitglied unter welchen Bedingungen werden? Welche Arbeitsgruppen wird es geben? Was sind die Entscheidungsprozesse und Regeln innerhalb der Arbeitsgruppe? Soll ZigBee hier Pate stehen, obwohl es nun schon seit 15 Jahren an genau an diesen Fragen scheitert? Wie werden sich Apple, Amazon und Google einigen, die heute sehr unterschiedliche Technologien nutzen? Und wie wird bei allem das Kartellrecht auf globaler Basis eingehalten?

eQ-3 würde einen einheitlichen Standard eindeutig begrüßen. Die große Frage ist aber, warum in CHIP mit weitestgehenden gleichen Teilnehmern gelingen soll, was seit 15 Jahren offensichtlich scheitert. In den letzten Jahren gab es viele Bekanntgaben zu Standardisierung im Smart Home, die zwar lautstark erschienen sind und durchaus positiv aufgenommen wurden, dann aber auf dem Weg zu EINEM Standard kaum etwas bewegt haben.

Beispiele sind ZigBee Home Automation 1.2 und 3.0, ZigBee RF4CE, ZigBee im Smart Meter (mit zwei ganz unterschiedlichen Stacks in den USA und Europa), Apple mit Homekit und diversen Bekanntgaben zu BLE, die Gründung von Thread, das Angebot von ZigBee mit „Dotdot“ an Thread, der Markteintritt von Amazon mit der Unterstützung von ZigBee, Philips Hue, die Übernahme von Z-Wave durch Silicon Labs für immerhin 240 Millionen US-Dollar oder auch den Beitritt von Apple bei der Thread Allianz. Viele der Gründer und Teilnehmer von CHIP sind auch Board-Mitglieder in ZigBee, wo der Versuch eine Restrukturierung des Boards – durch einen neuen ZigBee Vice President getrieben – über mehr als 18 Monate gescheitert ist. Letztlich stehen sie mit CHIP der fast gleichen Herausforderung, wie bei ZigBee. Zumindest haben sich die Gründer von CHIP offenbar auf IPv6 als Basis geeinigt. Es bleibt zu fragen, ob diesmal wirklich alle Gründer und Teilnehmer von CHIP Interesse an EINEM funktionierenden Standard haben.

Warum wird Thread bei CHIP nicht genannt?

Bei der Bekanntgabe von CHIP wäre eigentlich eher Thread als ZigBee als Mitbegründer zu erwarten gewesen. Die Mitgliedschaft von ZigBee verblüfft eher, da ZigBee sich bereits seit 2003 deutlich gegen IP positioniert.

Als das Board und das Technical Steering Committe der ZigBee Allianz 2005 trotz eines von Invensys und Danfoss gesponsorten Prototyps auch weiterhin nicht an einem IPv6-basierten Standard interessiert waren, wurde in der IETF (der Internet Engineering Taskforce, d.h. einer der wesentlichen Standardisierungsorganisationen im Internet) mit 6loWPAN eine entsprechende Initiative gestartet. Übereinige Umwege hat sich daraus die Thread Allianz gebildet, deren prominenteste Mitglieder wohl Google, NEST und Apple sind. Mit OpenThread ist ein Open Source IPv6 Stack bereits verfügbar. Für Thread würde „nur“ eine Applikationsschicht benötigt, um ein komplettes System zu haben. Ist CHIP ein Versuch – der letzte Versuch? – zu verhindern, dass ZigBee komplett gegen IPv6 untergeht? Oder waren die Mitglieder von Thread nicht daran interessiert, dass Thread einer der Gründer von CHIP wird?

Löst CHIP das Problem der Vielzahl der Technologien in heutigen Smart Home „Standards“?

Eines der Grundprobleme der Smart Home Standardisierung ist es, dass es – neben dem Fehlen von IPv6 als Netzwerkprotokoll – bei weitem zu viele konkurrierende Technologien und Protokolle auf allen Ebenen der Kommunikationsstacks gibt. In nunmehr über 15 Jahren ist es nicht gelungen, die Anzahl der Anwärter und die verwendeten Technologien im Markt zu reduzieren. Ganz im Gegenteil: Die Zahl ist in den letzten 5 Jahren sogar noch weiter gestiegen. Mit CHIP wird genau dieses Problem nun aber zum Thema der neuen Arbeitsgruppe gemacht.

Sinnvoll wäre eine Auswahl aus den zur Verfügung stehenden möglichen Technologien, um eine solide, geradlinige Architektur ohne unnötige Komplexität zu erhalten. Genau dies ist das Prinzip in erfolgreichen Standardisierungsgruppen. In IEEE802.11 wurde so der alleine dominierende Standard für WLANgeschaffen. Obwohl ZigBee eigentlich genau die erfolgreichen Statuten der IEEE802 in seinen Regeln kopiert hat, ist eine praktisch nicht überschaubare Anzahl von unterschiedlichen und nicht kompatiblen Stacks, plus sogenannten Profilen und diversen Versionen entstanden, die selbst Experten kaum noch unterscheiden können. ZigBee ist – intern und extern – genau an der Erreichung der Ziele gescheitert, die nun als Ziele von CHIP erklärt werden.

In der Bekanntgabe von CHIP wird aber gerade nicht von einer – zweifellos sinnvollen – offenen Auswahl aus einem Spektrum von möglichen Technologien gesprochen. Auch kein Wort von einem offenen Auswahlprozess, der schon allein aus kartellrechtlichen Gründen notwendig ist.

Stattdessen wird davon gesprochen, dass „Open Source Code“ in das CHIP-Projekt „kopiert“ werden soll. „Im Markt getestete“ Technologien sollen soweit nötig modifiziert werden. CHIP benennt Kompatibilität als ein wesentliches Ziel. Die CHIP-Gründer sprechen davon, dass sie ihre heutigen Produkte und Technologien auch für Entwickler weiterhin unterstützen werden, auch wenn der Fokus von CHIP bei neuen Produkten liegen soll. Hersteller werden sogar ausdrücklich ermuntert, die heute verfügbaren Technologien weiter in neuen Innovationen zu nutzen.

Ziel und Plan von CHIP ist offenbar, die bisherigen Technologien der Gründer auch weiterhin zu unterstützen. Oder werden Hersteller und Kunden von CHIP letztlich doch „in den Regen gestellt“?

CHIP müsste Kompatibilität für Entwickler und für Endkundenprodukte bieten, d.h. mit ZigBee, mindestens Home Automation 3.0 (und hoffentlich auch ZigBee RF4CE), mit Hue, mit Amazon Alexa, Apple Homekit (WLAN und unterschiedliche BLE Versionen) und Google Weave. Das ist genau, woran die Industrie nun schon seit Jahren arbeitet.

Schafft CHIP eine Funktechnik als Standard?

Statt eines einzigen Funksystems möchte CHIP aber mehrere Funktechniken unterstützen, die letztlich fast identische Eigenschaften bieten. Alle im Zusammenhang mit CHIP genannten Funktechniken haben gemeinsam, dass sie essentielle Anforderungen für Consumer- und Profi-Produkte – vor allem in Europa – deutlich verfehlen. Auch dies ist ein Grund für das Scheitern der diversen „Standards“ gerade im Retail in Europa.

In über 30 Jahren Geschichte von Standardisierung von Kommunikationstechnik gibt es zahlreiche Beispiele ähnlicher Patt-Situationen wie heute im Smart Home. Ein Durchbruch in der Standardisierung wurde stets von einer neuen Generation in der Technologie begleitet oder überhaupt erst ermöglicht. CHIP hingegen möchte eine Standardisierung auf Basis von mehr als 15-20 Jahre alten Technologien erreichen. Zumindest sollen in CHIP alle Funktechniken der Gründer weiterhin unterstützt werden. Explizit genannt werden dabei IEEE802.15.4 mit 6loWPAN wie bei NEST, IEEE802.15.4 in diversen ZigBee Konfigurationen, BLE in Version 4.1, 4.2 sowie 5.0 und „WLAN bis hin zu WiFi-6“. Ein einfacher,geradliniger Ansatz für einen Standard sieht anders aus.

Natürlich ist das IPv6 Protokoll technisch ideal geeignet, eine Smart-Home-Applikationsschicht von unterschiedlichen Funklösungen zu entkoppeln. Der Preis dafür wären aber unterschiedlichste Kombinationen von Funkroutern, die dann in der Praxis benötigt werden. Es würde erhebliche Zeit kosten, bis in allen Kombinationen einwandfrei funktionierende Produkte zur Verfügung stehen – und natürlich würden auch die Kosten der Produkte steigen.

Sinnvoller wäre es, sich in CHIP auf eine Funktechnik zu einigen. Dies würde aber bedeuten, dass es einen Gewinner und mehrere Verlierer gäbe. Es wird interessant zu sehen, welchen Weg Apple, Amazon und Google mit allen anderen Teilnehmern von CHIP letztlich einschlagen.

Eignet sich das 2,4 GHz Band langfristig für Home Control?

Alle von CHIP genannten Funktechnologien haben gemeinsam, dass sie ausschließlich das 2,4 GHz Band verwenden. Aus gutem Grund verwenden Homematic IP, Z-Wave, Enocean und viele proprietäre Technologien ausschließlich Sub-1-GHZ-Frequenzen. Pläne der zahlreichen entsprechenden Hersteller, auf 2,4 GHz zu wechseln, sind bislang nicht bekannt.

Der offensichtliche Vorteil vom 2,4 GHZ-Band ist, dass hierdurch prinzipiell globale Produkte ermöglicht werden, was aber alleine schon aufgrund unterschiedlicher Prinzipien in Gerätesicherheitsnormen – z.B.zwischen UL in der USA und CE / RED in Europa – grundsätzlich in Frage zu stellen ist. Die Normungsaktivitäten in WLAN zielen darauf ab, dass 2,4 GHz-Band bestmöglich für hohe Übertragungsraten auszunutzen. Lücken in der zeitlichen Übertragung von WLAN werden seit Jahren massiv verringert, um die Kapazität für Video und andere bandbreiten-hungrige Applikationen zu erhöhen. Dies wird nicht zuletzt jetzt in den neuen WLAN-Produkten offenbar, die WiFi-6 unterstützen. Die Folge ist, dass Home-Control-Geräte immer mehr gestört werden und immer mehr Übertragungsversuche benötigen.

Bei Batteriegeräten wird die Batterielebensdauer durch Störungen im 2,4 GHz-Band nicht nur reduziert, sondern es wird unmöglich oder zumindest unseriös, eine Batterielebensdauer vorherzusagen oder gar zu garantieren.

Ein Funkrauchmelder mit 10 Jahren zugesicherter Batterielebensdauer – wie z.B. in Homematic IP, bei innogy oder Bosch Smart Home –ist im 2,4 GHz Band und so auch mit CHIP nicht seriös möglich und wohl kaum zu zertifizieren.

Die Funktechniken der CHIP-Gründer haben eines gemeinsam: Um ein typisches Haus abzudecken, benötigen sie zwingend Mesh Networking. Es gibt Smart-Home-Hersteller, die aufgrund der Probleme von Konsumenten mit dem Verständnis von Mesh Networking selbst mit nur einer Funktechnik gescheitert sind. Wenn nun aber unterschiedliche Funktechnologien unterstützt werden sollen – allein schon um die angestrebte Kompatibilität zu erreichen – müssten Router zwischen den Funktechnologien und für Mesh Networking parallel betrieben werden. Ein Mesh-Router für Funktechnik „A“ im Obergeschoss kann einem Fensterkontakt mit Funktechnik „B“ nicht helfen. Es wird interessant sein zu beobachten, wie CHIP diese Komplexität für Consumer-Produkte lösen möchte.

Welches Applikationsprotokoll soll CHIP verwenden?

CHIP soll Technik aus den Applikationsprotokollen von Google Weave, Apple Homekit, Alexa Smart Home und ZigBee Dotdot verwenden, die sich konzeptionell und technisch stark unterscheiden. Sinnvoll wäre es, eine klare Auswahl beim Applikationsprotokoll zu treffen. Niemand benötigt mehrere parallele Applikationsprotokolle. Genau an der Frage, welche aufgegeben werden sollen und wer der Gewinner wird, scheitert die Industrie in der Standardisierung nun aber schon seit 15 Jahren.

Eine Rückwärtskompatibilität wäre weitaus leichter für den „Gewinner“ zu erreichen. Es bleibt zu hoffen, dass es eine eindeutige Einigung zwischen Apple, Google, Amazon und den anderen Teilnehmern bei CHIP geben wird und nicht einfach mehrere Applikationsprotokolle parallel spezifiziert werden. Das wäre genau die Situation, die wir aktuell im Markt vorfinden. Die meisten heutigen Smart-Home-Systeme haben massive Sicherheitslücken. Wie soll ein neues System sicher sein, wenn es unsichere Produkte früherer Technologien einbindet? Für die als Ziel gesetzte Kompatibilität mit früheren unsicheren Systemen, ist eine „geeignete“ Konfiguration unabdingbar, wenn keine Sicherheitslücken entstehen sollen. Auch dies könnte Konsumenten technisch komplett überfordern.

Wem gehört der Kunde?

Apple, Google und Amazon verfügen jeweils über starke eigene Sprachplattformen, die heute als Integrationsplattformen für Smart Home angeboten werden, wenngleich die Mehrzahl der „Skills“ auf den Plattformen andere Anwendungen als Smart Home betrifft. Bei Erfolg von CHIP soll der Endkunde in die Lage versetzt werden, die Geräte seiner Wahl mit seiner bevorzugten Plattform zu steuern.

Das Interesse von Amazon, Apple und Google ist ganz offensichtlich, den Kunden und seine Daten zu „besitzen“. Ebenso offensichtlich ist, dass dabei nicht alle drei Gründer gleich erfolgreich sein können. Eine spannende Frage wird sein, wie sich CHIP entwickelt, wenn eine dieser Plattformen ins Hintertreffen gerät.

Um ein paar LED-Leuchtmittel oder eine Türkamera zu betreiben, machen sich die meisten Konsumenten kaum Gedanken, welche Plattform sie einsetzen. eQ-3 hat die Erfahrung gemacht, dass es den Kunden bei Homematic IP sehr wohl wichtig ist zu wissen, dass sie den Cloud Service nicht nur kostenlos, sondern komplett anonym nutzen können und dass es sogar möglich ist, ein Smart Home ganz ohne Internet zu betreiben. Es ist zu hoffen, dass CHIP nicht nur für die „großen“ Internet-Plattformen interessant ist, sondern ebenso für die Hersteller von lokalen Zentralen.

Neben den Gründern von CHIP gibt es global eine Vielzahl von Herstellern von Bauprodukten bzw. Home-Control-Geräten, die keine oder eine eigene, lokale Zentrale verwenden.

Es erscheint unwahrscheinlich, dass alle diese Hersteller bereit sind, auf die eigene lokale Zentrale und Produktfolgeumsätze zu verzichten, sowie die Kundenbeziehung an Amazon, Apple und Google zu verlieren. Auch hier steht CHIP vor der gleichen Herausforderung, an der eine Standardisierung schon seit 15 Jahren scheitert.

Was wird aus Z-Wave und den anderen „Standards“?

Das in den USA heute führende Smart Home Protokoll ist Z-Wave. Z-Wave steht aufgrund seines „Source-Routing-Verfahrens“ diametral gegen IP als Netzwerk-Technologie und wird bei CHIP nicht einmal erwähnt, d.h. im Sinne IPv6 letztlich zurecht. Die Frage ist natürlich, wie sich die zahlreichen Hersteller in der Z-Wave Allianz gegenüber CHIP aufstellen. Werden alle zu CHIP migrieren und ihren bisherigen Standard, ihre Investitionen in Produkte und ihre installierte Basis einfach aufgeben?

Z-Wave wird seit mehr als 15 Jahren trotz proprietärer Technologie und aller technischen Schwächen geschafft, von vielen Herstellern unterstützt zu werden und gerade in den USA als einer der „Standards“ angesehen zu werden. Bis heute hat das „Chaos“ in ZigBee maßgeblichen Anteil am Erfolg von Z-Wave.

Z-Wave stammt vom VC-finanzierten Startup Zensys, wurde nach dessen Scheitern unter neuer Eigentümerschaft von Sigma Designs und dann nach einer 240-Millionen-Dollar-Übernahme vom Funkchip-Hersteller Silabs weiterentwickelt: Anders als bei Homematic und Homematic IP gibt es für Z-Wave bis heute nur eine einzige Implementierung des Protokoll-Stacks und nur einen Hersteller von Funk-Chips. Dieses Prinzip einer Monopolisierung der Technologie im Z-Wave „Standard“ wurde auch von dem neuen Eigentümer Silabs strikt eingehalten.

Und nun die Wende? Als direkte Reaktion auf CHIP hat Z-Wave nur einen Tag später bekannt gegeben, die gesamte Z-Wave Technologie zu öffnen und erstmalig alternative Hersteller von Funkchips und Protokoll-Stacks zulassen zu wollen.

Ganz von CHIP überzeugt scheint man bei Z-Wave und Silabs aber doch nicht zu sein: In der Bekanntgabe spricht die Z-Wave Allianz lediglich von „Plänen“, die Spezifikation zu öffnen und davon, dass diese voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte von 2020 verfügbar wird. Silicon Labs hält sichoffenbar alle Optionen offen.

Wird Silabs sein 240-Millionen-US-Dollar-Investment in Z-Wave nach nur einem Jahr abschreiben müssen?

Es entsteht der Eindruck, dass andere Halbleiterhersteller wie Texas Instruments oder Nordiq mit CHIP weiteren Boden gegenüber Silicon Labs gutmachen können.

Was bedeutet CHIP für KNX?

Hingegen kaum überraschend ist, dass KNX – obwohl es ja prinzipiell ein globaler ISO-Standard ist – bei CHIP ebenfalls mit keinem Wort erwähnt wird. Dies ist wohl ganz eindeutig unter dem Aspekt „IP“ zu sehen. Als im Markt die Diskussion geführt wurde, welches Protokoll für Voice-over-IP genutzt wird, hat ja auch niemand mehr ISDN erwähnt. Und im Gegensatz zu KNX heute, war ISDN damals im privaten und kommerziellen Bereich in vielen Ländern als beherrschender Standard akzeptiert und weit verbreitet.

CHIP bedeutet nicht unmittelbar das Ende von KNX, CHIP unterstreicht aber, dass die Zeit von nicht auf IPv6 basierenden Protokollen auch im Bereich der Home und Building Control zu Ende geht. Wir sehen hier eine ähnliche Industrietransformation, die vielfach zum Niedergang von ehemals marktführenden Unternehmen geführt hat.

Open Source und Royalty-frei?

Aus Sicht von Geräteherstellern klingt es erst einmal positiv, wenn CHIP anstrebt, die Stack-Software frei von Lizenzgebühren – sogenannten „Royalties“ – und im Source Code kostenlos verfügbar zu machen.

Für Hersteller stellt sich jedoch insgesamt und nicht nur bezüglich Royalties die Frage, wie teuer Geräte mit CHIP werden. Bei den Hardwarekosten ist zu bedenken, dass ein Stack für ZigBee oder Thread heute etwa viermal größeren Speicher benötigt, als Homematic IP. Ebenso wird sich CHIP daran messen lassen müssen, wie teuer die Entwicklung von Geräten ist und welche Tools dafür zu welchen Preisen verfügbar sind. Gerade die hohe Komplexität durch die diversen Funkmedien und eine Kompatibilität mit unterschiedlichen Applikationsprotokollen könnte Entwicklung, Test und Wartungvon Geräten mit CHIP aufwendig und teuer machen.

„Royalty-frei“ ist trotz klarer Aussage in der Ankündigung kein Thema, über das CHIP alleine entscheiden kann. Patente Dritter werden in jedem Fall eine Rolle spielen.

Aufgrund der zu geringen Reichweite, um ein typisches Haus abzudecken, wird CHIP nicht umhinkommen, Mesh Networking zu nutzen. Die Gerätehersteller von Z-Wave zahlen heute in den USA zumeist mehr für Patent-Lizenzen für Mesh Networking, als für die Z-Wave Funkchips. In diesem Zusammenhang kann es kaum verwundern, dass Apple – trotz Ankündigungen – für Homekit mit BLE immer noch kein Mesh Networking Protokoll veröffentlicht hat.

Noch unübersichtlicher ist die Situation bei WLAN: Es ist heute vollkommen unklar, wer welche Patente von wem für WLAN lizenzieren müsste, obwohl es mehrere große „Patent-Pools“ gibt. Niemand ist heute in der Lage, ein „ausreichendes“ Patent-Portfolio zu lizenzieren, zu benennen oder auch nur einen „sicheren“ Höchstbetrag für mögliche WLAN-Patentlizenzen anzugeben.

Entsprechend bietet heute kein Technologiehersteller WLAN mit einer wirksamen Freistellung gegenüber Patent-Ansprüchen Dritter an. Vor diesem Hintergrund wird es interessant zu sehen, wie CHIP das Versprechen von Royalty-Freiheit einlöst.

Was bleibt als Fazit?

Die Idee hinter CHIP ist nicht neu. Der Vorschlag „IP“ wurde aber in ZigBee bereits seit 2003 konsequent abgelehnt und auch mit Thread wurde die gleiche Idee praktisch ohne Erfolg vertreten. Neu ist allenfalls, dass Amazon, Google und Apple gemeinsam mit ZigBee in einer Presseinformation stehen. Aus Sicht von Homematic IP ist es erfreulich, dass mit CHIP endgültig deutlich wird, dass die Zukunft im Smart Home IPv6 gehört. Ob CHIP eine Spezifikation wirklich – wie angekündigt – bis Ende 2020 liefern kann wird sich zeigen.

Angesichts der technischen, kommerziellen und ebenso politischen Herausforderungen vor denen CHIP steht, erscheint das ähnlich unwahrscheinlich wie die zahlreichen Ankündigungen von ZigBee für einen universellen „Standard“, die es immerhin schon seit 2004 gibt.

Auf CHIP basierende Produkte schon in 2021 zu erwarten, erscheint daher eher optimistisch. Selbst wenn CHIP ein Erfolg wird, könnte sich dieser leicht bis 2022, 2023 oder noch viel länger verzögern. Entsprechend ist es eher wahrscheinlich, dass sich CHIP erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts durchsetzt, wenn es denn wirklich ein erfolgreicher Standard wird. Ebenso denkbar ist ein komplettes Scheitern von CHIP.

Für den Markt am besten wäre es, wenn sich mit CHIP nur EIN universeller Standard ohne Alternativen und Optionen durchsetzt. Ziel sollte es sein, dass unterschiedliche Funkmedien ausschließlich aufgrund unterschiedlicher technischer Anforderungen genutzt werden und nicht, um bestimmte Technologien am Leben zu erhalten. Ebenso sollte auch nur EIN universelles Applikationsprotokoll in CHIP verwendet werden.

Den Nutzen von diesem Bild kann man am World-Wide-Web ablesen. Uns allen dürfte aber schmerzhaft in Erinnerung sein, wie lange es gedauert hat, bisein hinreichend einheitlicher HTML-Standard von allen relevanten Browsern unterstützt wurde. Beim Internet und WWW hat es nie einen Zweifel gegeben, dass IP als universeller Netzwerk-Standard und HTTP als Applikationsprotokoll genutzt werden.

CHIP stellt für nicht auf IPv6 basierenden Technologien eine starke Bedrohung dar und wird zum Sterben weiterer Anbieter beitragen. Auch diese Form einer Marktbereinigung ist prinzipiell zu begrüßen. Für die betroffenen Endkunden würde dies aber vielfach einen Austausch ihrer Geräte und Lösungen erfordern.

In den letzten Jahren war zu beobachten, wie gerade auch Gründer und Teilnehmer von CHIP Unternehmen gekauft haben und dann ohne Ankündigung, Übergangsfristen oder anderen Alternativen den Cloud-Betrieb für übernommene Produkte eingestellt haben. Erst vor einigen Monaten gekaufte Smart-Home-Produkte sind für die betroffenen Verbraucher effektiv zu Elektroschrott geworden.

Da Homematic IP bereits auf IPv6 basiert, würde eine Integration mit CHIP weitaus einfacher, als die Änderungen, die ZigBee & Co. bevorstehen.

Eine Integration mit CHIP ist für Homematic IP eingeradliniger Schritt, da in Homematic IP bereits die Kommunikationstechnik – also 868 MHz Funk bzw. der fehlertolerante Homematic IP Wired Bus – und das Applikationsprotokoll getrennt sind. Funk- und Buslösung nutzen bereits IPv6 als alles verbindende Netzwerkschicht.

Bei Erfolg von CHIP, wäre ein logischer Entwicklungsschritt in Homematic IP, CHIP als Applikationsschicht zusätzlich zu unterstützen und die Funk-Medien von CHIP in Zentralen und Access Points von Homematic IP zu integrieren. Die Investitionen der Kunden in heutige Homematic IP Produkte und alle Vorteile, die Homematic IP heute so erfolgreich machen, könnten auf diese Weise sogar auf Dauer erhalten bleiben.

Für Endkunden ist heute die rechtlich bindende Zusage für Homematic IP wertvoll, dass es mindestens bis 2030 Produkte geben wird und dass auch darüber hinaus kompatible Produkte angeboten werden.

Als Endkunde in eine Smart Home Lösung zu investieren, ohne eine solche, essentielle Zusage, macht kaum Sinn.

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